Griechenland: Die Lösung hätte nichts gekostet, aber sie wurde nicht gewollt

Griechenland kommt einem vor wie ein arbeitsloser Schlucker mit einer Millionenschuld, dem man nun noch den sonntäglichen Cervelat vom Grill nimmt. Das eingesparte Geld macht die Schuld kein bisschen kleiner, bloss den Menschen, der doch noch die Schuld abtragen soll.

Die paar Milliarden, die den Griechen durch Senkung der Renten und Erhöhung der Mehrwertsteuer abgepresst werden, tragen so gut wie nichts zur Erleichterung der Gesamtschuld von über 300 Mrd. bei, zumal dadurch die Produktivkraft weiter geschwächt wird. Ein Arbeiter wird nicht leistungsfähiger, indem man ihn auf Wasser und Brot setzt.

Die griechische Krise wäre natürlich lösbar gewesen. Aber dass es nicht getan wurde, wirft einen schweren Schatten auf die jüngsten Vereinbarungen zwischen der Eurozone und Griechenland, der die weitere Entwicklung verdunkeln wird. Offenbar ging es den EU-Granden darum, die Syriza-Regierung zu stürzen, wie die bemerkenswerte Aussage von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz zeigt, der für den Fall einer Ablehnung des Spargrogramms den Rücktritt der griechischen Regierung gefordert hat. Der Sturz wird jetzt auf Raten erfolgen, indem Syriza zum Bruch seiner Wahlversprechen und zur Missachtung des erklärten Volkswillens gezwungen wird. Der 12. Juli 2015, der Tag der Vereinbarung, wird als eine entscheidende Niederlage der Demokratie in die Geschichte eingehen.

Nach einem Bericht des Int. Währungsfonds IWF, der kurz nach der Einigung vom Sonntag veröffentlicht wurde, sind Griechenlands Schulden zu hoch, um sich ohne Schnitt daraus befreien zu können.
Griechenland braucht einen Schuldenschnitt von rund 60 Mrd. Euro, um wieder kreditfähig zu werden. Für genau diesen Betrag kauft die Europäische Zentralbank EZB seit vergangenem März und noch bis September 2016 jeden Monat Staatsanleihen aller Ländern der Eurozone – ausser Griechenlands.

Die Begründung für diese Benachteiligung klingt zunächst vernünftig: Griechenland beteiligt sich nicht (oder noch nicht) an einem Sparprogramm. Nur: Dieses Sparprogramm ist gar nicht in der Lage, das Land wieder auf die Beine zu bringen; das hat sein bisheriges Resultat gezeigt. Das Schuldenwachstum konnte zwar kontrolliert werden, aber das Bruttoinlandprodukt ist so stark gesunken (um rund 25 Prozent), dass eine Erholung in noch weitere Ferne gerückt ist. Die Beteiligung am Sparprogramm als Bedingungen für den Kauf griechischer Staatsanleihen ist deshalb ökonomisch irrational und nur politisch zu begründen.

Die EZB könnte also im Rahmen ihres Programms für einen einzigen Monatsbetrag griechische Staatsanleihen kaufen, und Griechenland hätte wieder eine Chance. Nach herkömmlichen ökonomische Argumenten wirkt eine solche Massnahme allerdings inflationär. Nur: Ob die EZB nun portugiesische oder griechische Staatsanleihen kauft, wird den Effekt auf die Inflation nicht wesentlich verändern. Dazu kommt, dass ein bisschen mehr Inflation zur Zeit offiziell sogar erwünscht ist.
Wenn Griechenland dagegen Geld von den anderen EU-Staaten erhält, dann handelt es sich dabei um Bankkredite, um privates, aus dem Nichts geschöpftes Geld, das mit Zins und Zinseszins zurückbezahlt werden muss. Die europäischen Steuerzahler geben ja kein Geld, das sie zuerst verdienen mussten, sondern bloss Bankgarantien.

Wie lässt sich die harte deutsche Verhandlungsposition verstehen, die sich nun durchgesetzt hat? «Verträge sind einzuhalten» – dieses eherne Rechtsprinzip gilt natürlich auch heute und es ist nachvollziehbar, wenn die Deutschen darauf bestehen. Aber: Verträge, die einem sachlichen Irrtum unterliegen, sind ungültig. In der Tat kennt die Eurozone keinen Mechanismus zur Verteilung der Überschüsse Deutschlands, das mit jedem einzelnen Euroland seit Bestehen der Gemeinschaftswährung einen Handelsbilanzüberschuss erreicht hat. Ausnahmen sind Irland – eine Art Sonderwirtschaftszone der USA – und Griechenland, allerdings nur im Jahr 2000. Die Eurozone ist damit ein Spieltisch, an dem ein Teilnehmer schliesslich alle Gewinne einstreicht, aber kein bankrotter Spieler ausscheiden darf. Wer sein Spielgeld verbraucht hat, wird seine Kleider verwetten, bis er nackt ist, dann seine Grossmutter und schliesslich die Enkel.

Früher oder später wird Deutschland einem Schuldenschnitt zustimmen müssen, wie es ihn selber nach dem Zweiten Weltkrieg bekommen hat. Früher oder später wird Deutschland zustimmen müssen, dass im bestehenden System nicht jeder Vertrag einzuhalten ist, genauso wie es als erstes Land der Eurozone zusammen mit Frankreich den Vertrag von Maastricht durch Überschreiten des Staatsdefizits gebrochen hat.

Aussagen wie «Der Grieche hat jetzt lange genug genervt» des stv. CDU-Vorsitzenden (und Schwiegersohn von Finanzminister Schäuble) Thomas Strobl sind nicht gerade geeignet, das Bild der Deutschen in Europa zu verbessern. Heiner Flassbeck, früher Chefökonom der UNCTAD schreibt in einem düsteren Kommentar unter dem Titel «Die bedingungslose Kapitulation – sonst nichts» über Deutschland: «Vernunftbegabte Menschen auf dem gesamten Erdball werden fragen, wie es möglich ist, dass sich ein ganzes Land (inklusive des Grossteils seiner Medien und der Wissenschaft) auf eine solche politische Geisterbahnfahrt begeben kann.»

Ausserhalb der bestehenden Regeln, aber innerhalb des bestehenden Eurosystems, hätte es noch einige weitere Lösungen gegeben, die der frühere griechische Finanzminister Varoufakis durch eine kleines Team in seinem Ministerium für den Fall hat vorbereiten lassen, dass es hart auf hart gehen könnte und die griechischen Banken geschlossen würden: Die Herausgabe eigener Schuldscheine, ein Haircut auf die Staatsanleihen von 2012 im Besitz der EZB und die Übernahme der Kontrolle über die griechische Zentralbank. Über die Massnahmen wurden in der Syriza-Regierung abgestimmt, aber Varoufakis setzte sich nicht durch.

Mehr Insiderinformationen über den mehrmonatigen Verhandlungsmarathon sind in einem aufschlussreichen Interview aus dem News Statesman mit Yanis Varoufakis zu finden, dem ersten Gespräch seit seinem Rücktritt. Ein Detail: An einem gewissen Punkt der Verhandlungen wollte Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem eine Sitzung unter Ausschluss von Griechenland einberufen, immerhin ordentliches Mitglied. Als Varoufakis die Legalität dieses Schrittes in Frage stellt, gabe es einen zehnminütigen Unterbruch, wähenddem die Teilnehmer an ihren Handys hingen und sich über den rechtlichen Stand der Dinge schlau machten. Schliesslich erklärte ein Rechtsexperte: «Die Eurogruppe existiert rechtlich gar nicht, es gibt keine Rechtsgrundlage für die Gruppe.» Das bedeutete nicht nur, dass Dijsselbloem eine Sitzung unter Ausschluss ordentlicher Mitglieder einberufen konnte. Das bedeutet auch, dass eine Institution im rechtsfreien Raum und ohne demokratisch geregelte Verantwortlichkeit buchstäblich Entscheide über Leben und Tod fällen kann, gegen die es keine Rechtsmittel gibt. Die zuständigen Männer können nicht einmal vor Gericht gestellt werden. Die betroffene Bevölkerung wird wohl andere Mittel finden müssen und man kann nur hoffen, dass es friedliche sein werden.

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Eine hochinteressante Darstellung der jüngeren Geschichte Griechenlands des ex-US-Diplomaten William R. Polk (in englisch), ohne die die Gegenwart nicht richtig zu verstehen ist: https://consortiumnews.com/2015/07/02/behind-the-greek-crisis/

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