Occupy Paradeplatz – der Samen ist eingetopft

«Rettet Menschen, nicht Banken!» – unter diesem Motto findet am kommenden Samstag die Kundgebung «occupy Paradeplatz» statt. Auf ein Organisationskomitee wollte die «Vollversammlung» von gestern Montagabend bewusst verzichten. Und auch die Zielsetzung und der Ablauf sind noch weitgehend unbestimmt. Sicher ist nur: Es beginnt um 10.00 Uhr, um 13.00 Uhr findet die Vollversammlung statt, und alles wird friedlich.

Die Bedeutung des Augenblicks lag schwer in der Luft, als am Montagabend um 18.00 Uhr in einem kleinen Raum des Zürcher Volkshauses gegen achtzig vornehmlich jüngere und männliche Menschen über «occupy Paradeplatz» zu diskutieren begannen. Die in den letzten paar Tagen über Facebook verbreitete Idee, den Protest gegen die Finanzwirtschaft auch in die Schweiz zu tragen, hat offenbar gezündet. Die einladenden Jusos waren vom Aufmarsch total überrascht. Vier Radios, ein paar Zeitungen, darunter sogar die NZZ, waren da.

Vollversammlungen, eine Errungenschaft der Jugendbewegung der 80er Jahre sind nicht jedermanns Sache, nicht nur wegen des Gedränges. Eine klare Traktandenliste fehlt, die Moderation ist eher Zufall und der Diskussionsaufwand für die paar Entscheidungen enorm. Aber: Aus einem Haufen Menschen, die sich kaum kennen, entsteht so etwas wie eine Gruppe. Ob sie trägt, wird man sehen.

Das sind die Ergebnisse der vierstündigen Diskussionen:
– «occupy Paradeplatz» findet statt, ob als Demo, als Start einer Besetzung oder als Solidaritätskundgebung mit den Besetzern der Wall Street, ist noch unklar.
– Eine Bewilligung wird nicht eingeholt, aber die Polizei ist informiert. Der Anlass wird toleriert, aber offenbar scharf beobachtet.
– Die Demo/Besetzung beginnt auf dem Paradeplatz. Über eine Dislokation zum Bürkliplatz oder an einen anderen Ort zwecks Übernachtung wird ad hoc entschieden.
– Die ersten Leute werden am Samstag um 10.00 Uhr eintreffen, dem bereits über Facebook angekündigten Zeitpunkt. Die «Vollversammlung» wird ab 13.00 Uhr abgehalten. Weitere Programmpunkte dürften noch entstehen.
– Jean Ziegler hat über einen Freund einen Besuch angekündigt (und Grüsse an die vorbereitende Vollversammlung ausgerichtet)
– Die Versammlung beschliesst einstimmig, sich für einen friedlichen Verlauf der Kundgebung einzusetzen und, mit zwei Gegenstimmen, sich als Peacemaker zu engagieren. Peacemaker intervenieren bei Anzeichen von Gewalt.
– Die Versammlung beschliesst fast einstimmig, kein Organisationskomitee zu bestimmen und auf Strukturen zu verzichten. Die Bewegung soll eine Bewegung bleiben und die Identifikation mit Gruppen mit diskutablem Hintergrund vermieden werden.
– Die Teilnehmer werden aufgefordert, mit ihren eigenen Botschaften auf den Paradeplatz zu kommen. Auf ein zunächst diskutiertes Fahnenverbot wird verzichtet. Befürchtet wurde ein roter Fahnenwald.

Die Versammlung blieb über Ziel und Zweck der Demo unklar. Die Einen stellten sich den Beginn einer langen Besetzung vor, die Andern der Start einer Kampagne mit unbekanntem Ausgang und Dritte eine Solidaritätsaktion mit den Demonstranten von New York, Brüssel und anderswo. Weil die Zeit für eine seriöse Diskussion fehlte, blieb auch etwas schwammig, wogegen sich die Aktion richtet: Gegen das Bankensystem, die Abzockermentalität, die untätigen oder gekauften Politiker, den Materialismus, den Kapitalismus oder gegen alles ein bisschen?

Man darf nicht erwarten, dass eine Bewegung, die sich so schnell aus dem Nichts manifestiert, bei ihrem ersten Treffen schon Inhalte entwickelt und Ziele setzt. Aber wenn sie breite Schichten erreichen will, namentlich auch im bürgerlichen Lager, dann muss relativ schnell eine Strategie entwickelt werden, den berühmten Mann von der Strasse ins Boot zu holen.
Diese Kundgebung ist ein Samen, der sorgfältig eingetopft werden will, damit er rasch wachsen und sich vermehren kann. Unmut über die Finanzwirtschaft, Wut auf die Abzocker und Enttäuschung über die Politker reichen als Dünger nicht. Dazu braucht es klare Forderungen, mit denen sich eine Bevölkerungsmehrheit leicht identifizieren kann, zum Beispiel:
– kein Steuergeld und kein Volksvermögen zur Rettung der Banken
– sofortiger Stopp der Boniwirtschaft
– Demokratisierung des Geldwesens: Stopp der verfassungswidrigen privaten Geldschöpfung durch die Banken, demokratische Kontrolle der Nationalbank bei Massnahmen von grosser volkswirtschaftlicher Bedeutung
– Einführung des Trennbankensystems und Schutz der Realwirtschaft und der Spar- und Pensionsguthaben vor den Risiken der Spekulation
– Einführung einer Tobin-Steuer

Auch in Bezug auf die Gewalt sind klarere Positionen nötig. Die Spaltung der Gesellschaft in Opfer, die sich notfalls mit Gewalt wehren dürfen, und Täter, die mit Staatsgewalt antworten, muss überwunden werden. Wir sind fast alle Opfer eines unmenschlichen Finanzsystems, auch die Polizei und selbst viele Manager. Nur fällt ihnen die Einsicht schwerer, weil sie zu lange von diesem System profitiert haben. Mit der Verschärfung der Krise verschiebt sich auch die Spaltung der Gesellschaft: Jetzt wird auch der Mittelstand zur Kasse gebeten. Ihre Verluste werden ihnen die Augen öffnen, – spät, aber immerhin.
Die Polizei unter diesen Umständen als Gegner zu betrachten, ist Denken von gestern. Das führt zu den Konflikten von gestern und davon haben wir alle genug.
Unser Ziel ist die Finanzwirtschaft an sich und nicht seine Symbole und seine Soldaten. Wenn wir unsere Energie nicht an sie verschwenden, verschwinden sie von alleine.

Weitere Informationen:
www.occupy-paradeplatz.ch (in Arbeit)
http://www.facebook.com/event.php?eid=267123696654374
http://echte-demokratie-jetzt.ch/article17
http://www.juso.ch/de/node/3005

Martin Neukom, Präsident der Jungen Grünen Schweiz: http://www.jungegruene.ch/home/mm-retten-menschen-nicht-banken

Occupy Switzerland Facebook: http://www.facebook.com/pages/Occupy-Switzerland/256104707759096

Occupy Paradeplatz Facebook: http://www.facebook.com/groups/219107724820621/

Occupy Mobilisierungen auf Facebook: http://www.facebook.com/event.php?eid=267123696654374
http://www.facebook.com/event.php?eid=246701605375763

Occupy Switzerland Gruppe Facebook: http://www.facebook.com/groups/186468681427554/?id=187744271299995

Weitere occupy-Veranstaltungen am 15.Oktober:
In Bern, grosse Schanze, 12.00 bis 23.30 Uhr: http://www.facebook.com/event.php?eid=154791764614538
In Basel, vor dem BIZ, 14.00 Uhr: http://www.facebook.com/event.php?eid=158778584214464

Die NZZ war ausnahmsweise schnell. Die Aktion wird von den betroffenen Kreisen offenbar ernst genommen:

http://www.nzz.ch/nachrichten/zuerich/stadt_und_region/vorgeplaenkel_bei_protestbewegung_occupy_paradeplatz_1.12934485.html

 

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