Die Ukraine-Krise verstehen

Die Sanktionen bezahlt Europa

Lange durfte man hoffen, dass Russland die Souveränität der beiden separatistischen Provinzen im Donbass nicht anerkennen würde, wie von diesen seit Jahren gewünscht. Nachdem ich mir gestern die Nachrichten über einen bevorstehenden Entscheid von SRF und ARD angeschaut hatte, hörte und schaute ich mir noch die ausführliche Rede von Vladimir Putin an, die auf Russia Today gerade übertragen wurde.

Der Mann hat offenbar die Geduld und die Hoffnung verloren, dass auf diplomatischem Weg sowohl die NATO-Osterweiterung als auch der achtjährige Kleinkrieg der Ukraine gegen ihre abtrünnigen, weitgehend russischen Ostprovinzen beendet werden könnte.

Es lohnt, sich als Kontrast zu den verkürzten und oft «geframten» Mainstream-Nachrichten auch einmal die Rede eines Staatspräsidenten anzusehen und zu -hören. Putin spricht zwar gewohnt regungslos, aber keineswegs langfädig und geht auch auf die geschichtlichen Hintergründe des Konflikts ein. Die Ukraine erscheint in seiner Darstellung als der unbotmässige kleine Bruder, der die russische Familie verlassen hat und jetzt reichlich Stress macht.

Und da gibt es einiges, was vom Westen nicht bestritten, aber auch nicht thematisiert wird: Die nationalistische Politik der ukrainischen Regierung seit dem Putsch, die Benachteiligung der russischen Minderheit mit Gesetzen gegen die russische Sprache und die russisch-orthodoxe Kirche, die Förderung von Nazi-Gruppen, die offen den Tod von Russen und Juden fordern und vor allem die andauernde Beschiessung des Donbass in Verletzung des Minsker Abkommens mit Tausenden von zivilen Opfern.

Putin geht aber auch auf die versprochene Nichterweiterung der NATO ein – «not an inch» –, deren Richtigkeit erst letzte Woche vom «Spiegel» aufgrund neuer Dokumente bestätigt wurde. Er mag angesichts wiederholter Erweiterungswellen und der Stationierung von Offensivwaffen in unmittelbarer Grenznähe nicht mehr an den Defensiv-Charakter der NATO glauben. Ich eigentlich auch nicht.

Wie gesagt: Man kann sich zur Meinungsbildung auch mal mit einer Originalquelle befassen. Die Rede, heute von SRF völlig unpassend als «Wutrede» bezeichnet, markiert zweifellos einen Wendepunkt in der Zeitgeschichte.

Die grosse Frage ist, wie es weitergeht. Nach dem Einmarsch russischer «Friedenstruppen» im Donbass, dürften ukrainische Übergriffe von Russland militärisch beantwortet werden. Das werden die vor Ort zahlenmässig überlegene Ukraine und ihre westlichen Berater wahrscheinlich nicht riskieren.
Wenn nicht Ukro-Nazis eine Verrücktheit begehen, wird in den nächsten Wochen – bis sich die strategischen Positionen neu sortiert haben – ein gespannter Friede herrschen, begleitet von lauten Diskussionen über Sanktionen.

Russland hat sich für diese Eskalationsstufe reichlich Zeit gelassen. Man kann davon ausgehen, dass es sich vorbereiten musste, den unvermeidlichen westlichen Sanktionen standzuhalten: die industrielle Autarkie stärken, Alternativen des Zahlungsverkehrs etablieren und nicht-westliche Kunden für sein Gas aufbauen.

Die Sanktionen werden ihr erklärtes Ziel verfehlen, nämlich Russland in die Schranken zu weisen. Man kann davon ausgehen, dass dies auch dem Westen, allen voran den USA bewusst ist, die in den letzten Wochen fast täglich vor einer unmittelbar bevorstehenden Invasion gewarnt haben.

Könnte es, wie in so vielen Konflikten, einen lachenden Dritten geben? Verliererin der Sanktionen wird Europa sein, das ausgerechnet in Zeiten von Energieknappheit auf das billige russische Gas verzichten muss, das durch die fertiggestellte Nord Stream 2-Pipeline strömen könnte. Das ist besonders für Deutschland ärgerlich, das seine abgestellten AKWs mit Gaskraftwerken substituieren und seine ohne rekordhohen Strompreise weiter anheben muss.

Wenn der Gaspreis konfliktbedingt steigt, profitieren, wie oft in Spannungszeiten, die Energiekonzerne, allen voran die bedrängten Förderer des teuren US-Schiefergases. Sie liefern, und die Europäer bezahlen. Das ist der Preis, Russland die gewünschten Sicherheitsgarantien zu verweigern.


Interessant und aufschlussreich:

Jack F. Matlock, der ehemalige US-Botschafter in Moskau (1987 bis 1991) analysiert den Ukraine-Konflikt (in englisch). Vor einem Senatsausschuss erklärte er 1997 zur geplanten NATO-Osterweiterung: «Sollte sie vom Senat der Vereinigten Staaten gebilligt werden, könnte dies als der grösste strategische Fehler seit dem Ende des Kalten Krieges in die Geschichte eingehen.»

Phil Butler: Die Regierung Biden braucht eine russische Invasion der Ukraine
Das Geschäft mit amerikanischen Fracking-Gas funktioniert nur, wenn das billige russische Gas in Russland bleibt.

Sondersitzung des UNO-Sicherheitsrats vom 21. Februar (youtube)
Interessant sind insbesondere die Statements der Vertreter von Russland und der Ukraine (ab 59.45)

Und immer wieder witzig und treffend:
Mathias Bröckers: NATOstan »vereint wie nie zuvor»

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6 Antworten auf Die Ukraine-Krise verstehen

  1. Patrick sagt:

    Lieber Christoph Pfluger,

    Neben allem anderen ist die Ukrainekrise sicher auch für alle Beteiligten eine willkommene Ablenkung vom immer mehr bröckelnden Corona-Narrativ.
    Die Haltung der Nato und der USA sind klar interessengeleitet. Bei Putin ebenso. Die Reaktion der Europäer, besonders Deutschlands, halte ich für mehr als prekär. Adenauer hätte sicher anders reagiert, selbst Merkel (die Nordstream initiiert und befürwortet hat). An der Reaktion von Scholz/Baerbock lässt sich zweierlei ablesen: die Hörigkeit gegenüber der NATO-Doktrin und den USA, die nicht mehr hinterfragt wird; noch fragwürdiger: eine quasi „fundamentalistische“ antirussische plakative Einstellung, anstatt eines diplomatisch gebotenen Pragmatismus. Deutschland ist gegen russland eine Maus. Was soll dann diese erklärte Feinseligkeit und Kompromissunwilligkeit??? ich erkläre mir dies mit der schwelenden pseudomoralgesättigten Luft in diesem traurigen Staat: alles wird in einem krassen Entweder-Oder bzw. Schwarz-Weiß- Modus beurteilt und abgehandelt, ob es sich um Impfpflicht, Demonstrationen oder globale Krisen handelt, ohne jede Rücksicht auf mögliche Konsequenzen.
    Letzten Endes sind wir fassungslose Zeugen einer (geo-)politischen Marginalisierung und Selbstdemontage Europas, das sich entweder in eine fatale US-Hörigkeit begibt oder einfach aufgerieben werden wird. Miteleuropa zeigt sich in Auflösung, von vorne bis hinten und seine Politiker haben genau das Statistenformat, das es dazu braucht. Die Polen und Ungarn, die Balkanländer insgesamt machen es besser. Sie zeigen einen gewissen Reststolz auf ihre Nation, ob das nun helfen wird oder nicht. Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich: zelebrieren Selbstauflösung, Selbstauslöschung. In dieser Hinsicht sollte auch die Schweiz sich auf ihr Eigenstes besinnen, bevor es zu spät wird.

  2. Renato S. sagt:

    Putin und die Nato sind unter der gleichen Decke. Weder Putin noch Trump gehören zu den „Guten“, sie alle gehören dazu. Die Lügen-Pandemie hat gezeigt, dass fast alle unter der gleichen Decke sind. In Politik, Wirtschaft, Medien und Gerichten, alle Schlüsselstellen sind durch sie besetzt. Sie spielen mit uns. Hinter der Bühne sieht es so aus: Sie gehören alle zusammen und sind beste Freunde.

  3. Michael K. sagt:

    Die Ukraine ist ein Ablenkungsmanöver der während der angeblichen „Corona-Pandemie“ korrumpierten Regierungen. Bevor man sie in diser Sache dort weiter toben und verhandeln lässt müssen sie allesamt abgesetzt und für ihre Untaten während der Widerstandszeit zur Rechenschaft gezogen werden. Auch die Schweizer Regierung muss sich der Verantwortung stellen. Irgendwelche „guten Dienste“ kann sie später wieder leisten – in neuer Besetzung.

  4. T. Aeschlimann sagt:

    Es gibt sehr viele Anhaltspunkte, dass Russland beide Seiten des Ukraine-Konflikts kontrolliert und dass die Gleichen ebenfalls die Nato, ja auch China, die EU und fast alle Staaten kontrollieren. Auch das was jetzt in der Ukraine passiert, ist wie die „Pandemie“ von langer Hand geplant!

  5. Patrick sagt:

    Ja, die Ukraine ist AUCH ein Ablenkungsmanöver. So wie es für alles momentan einen Vordergrund und einen Hintergrund gibt. Die Agenda der WEF und der Mächtigen läuft derweil weiter. Eine deutsche Firma erhält den Auftrag (von wem???), die Software für die multiple digitale Identität bereitzustellen. Die WHO soll demnächst über jedwede staatliche Souveränität hinweg ein weltweites Pandemiemanagement vorschreiben dürfen. Einzige Gegenstimme: Russland. Hat dies alles eine Rechtsgrundlage? Warum gibt es keinen Protest seitens der Regierungen der Länder? Sind sie alle schon vorweg gebrieft, gekauft und bestochen? Und warum verlieren die grossen Medien kein Wort über dermassen einschneidende Entwicklungen? Man könnte die Beispiele beliebig erweitern. Fragen über Fragen. Schaut man in die MM, landet man in einem schalltoten und echolosen Raum, wo ständig dieselben Parolen und Standpunkte papageienhaft wiederholt werden, im gleichen Mass eine ausgewogene Berichterstattung nicht mehr zählt. Die Welt hat nun wieder so viele unbekannte Landstriche wie vor hunderten vor Jahren. Weil einfach nicht mehr berichtet wird. Oder krass einseitig und tendenziös.
    Was ist mit dem Jemen, Libyen, Syrien, Afghanistan, Brasilien, Indien, dem Hindukusch? Ja selbst mit Polen, Ungarn, Italien, Portugal? Gibts die noch?????- Die Ukraine schon. Das ist das neue Angstmach-Thema. Je mehr wir uns aufregen über herbegeredete Gefahren, Schwarz-weiss-Darstellung usf. , umso mehr konform verhalten wir uns: die gefährlichen Dinge für den Bürger Mitteleuropas und seine angestammten Rechte laufen ungestört, weil ungehört im Hintergrund.

  6. Patrick sagt:

    Der Bundesrat in Person von Cassis hat sich klar für die Unterstützung der Ukraine positioniert. Damit hat die Schweiz erstmals ohne viel Federlesens ihre Position der Neutralität verlassen – unisono mit dem westlichen Block, der Nato, den USA. Das ist erstaunlich und historisch einmalig. Man kann einen Krieg wie den Putins ablehnen ohne die eigene Neutralität zu verleugnen, die Schweiz hat sich dagegen entschieden. Warum?
    Es scheint ein ungeheurer Druck auf den Nationen Europas zu lasten, sich unisono zu äussern, ohne Rücksicht auf die eigene Geschichte und die Erfahrungen, die daraus resultierten. Das macht nachdenklich und traurig. Haben Sie, Herr Pfluger oder Sie, liebe Leser, eine Erklärung???

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