Frisierte Statistiken sorgen für «gute» Stimmung

«US-Arbeitsmarkt zeigt Stärke» titelte die Neue Zürcher Zeitung in der Wochenendausgabe vom 9./10. Januar auf ihrer Frontseite. Die Platzierung beweist die Bedeutung des Arbeitsmarktes für den Zustand der Finanzwirtschaft. Solange mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, darf man trotz zweifelhaftem Umfeld mit sinkenden Erdölpreisen und einer kritischen Situation an Chinas Börsen noch Hoffnungen auf Gewinne haben. Fast 300’000 neue Stellen wurden in den USA nach Angaben der NZZ im Dezember geschaffen. Sie bezog sich dabei vermutlich auf Berichte von Nachrichtenagenturen und nicht auf die Zahlen des amerikanischen «Bureau of Labor Statistics»; dann hätte sie nämlich festgestellt, dass bloss 11’000 neue Stellen geschaffen wurden und der ganze Rest auf saisonale Angleichung zurück geht, also auf statistische Kosmetik.

Zahlen nützen vor allem Wallstreet
David Stockmann, Budgetminister unter Reagan und Betreiber einer kritischen Wirtschafts-Website hat die Zahlen einer detaillierten Analyse unterzogen und kommt zum Schluss: «Der Dezember-Bericht ist kein Beweis für eine ‹starke› Wirtschaft, sondern bloss eine weitere Absonderung der Lärmfabrik der Regierung, die den Zustand der Realwirtschaft verschleiert. … Oder anders ausgerückt: Diese fiktionalen saisonal angepassten Zahlen nützen vor allem den Wertpapierverkäufern der Wallstreet.» Tatsächlich geht der überwiegende Teil der saisonalen Anpassung auf die Bauwirtschaft zurück. Dabei bot das Dezember-Wetter keinerlei Anlass zur Einschränkung der Bautätigkeit.

Vor allem «Brot-und-Spiele-Jobs»
Die NZZ erwähnt in ihrem Bericht korrekt, der amerikanische Arbeitsmarktbericht sage «nichts über die Qualität der geschaffenen Stellen aus». Tatsächlich sind die gut bezahlten Stellen im Produktivsektor, die für ein Familieneinkommen sorgen, weiter zurückgegangen. Gestiegen sind die regierungsnahen Jobs im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsektor sowie die schlecht bezahlten Teilzeitstellen als Dienstpersonal, Parkplatzwächter etc., die Stockmann treffend als «Brot-und-Spiele-Jobs» bezeichnet.

Und ob die neuen Stellen im Welfare-Sektor, die mit einem Staatsschuldenwachstum von rund 10 Billionen Dollar seit 2000 erkauft wurden, wirklich produktiv sind, muss mit Ausnahme des Bildungssektors ernsthaft bezweifelt werden.

Trend zum Fiktionalen ungebrochen
Was bedeutet das alles? Die US-Ökonomie, nach wie vor der Hauptmotor der Weltwirtschaft, steckt viel tiefer in der roten Tinte als die Zahlen glauben machen wollen. Echte Wertschöpfung wird zur Ausnahmeerscheinung, was übrigens auch die Börsenentwicklung zeigt: Die Papiere von Facebook, Amazon, Netflix und Google legten 2015 um rund 500 Mrd. Dollar zu, die Aktien der restlichen 496 Konzerne des Standard&Poor’s-Indexes verloren zusammen mehr als diesen Betrag. Der Trend vom Realen zum Fiktiven hat sich also weiter verstärkt. Das zeigen auch zwei Indizes mit grosser Prognose-Bedeutung: Der Verkauf schwerer Lastwagen ging 2015 um 37 Prozent zurück; die unverkauften industriellen Anlagen liegen auf dem höchsten Stand seit 2010. Die nicht ernst gemeinten Anlagetipps, die sich daraus ergeben, wirken nicht gerade attraktiv: wenn man könnte, sollte man in Life Coaches, Haustierbetreuer, Heiratsplaner, Experten für social media, Suchbegriffe-Optimierer und Derivate-Händler investieren.

Fazit: Wer den wahren Zustand der Wirtschaft erfahren will, wird nicht einmal von den Qualitätsjournalisten der NZZ seriös bedient. Und wer mit seinem Vermögen reale Werte schaffen will, muss es aus den Wertpapiermärkten abziehen und selber etwas mit seinem Geld anfangen.

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