Echtes Geld gibt es fast nicht

«Was ist echtes Geld?» Auf diese Frage habe ich Ihnen eine Antwort versprochen. Sie ist leicht zu finden, nämlich in Art. 2 des Bundesgesetzes über die Währung und die Zahlungsmittel:
«Als gesetzliche Zahlungsmittel gelten:
a. die vom Bund ausgegebenen Münzen;
b. die von der Schweizerischen Nationalbank ausgegebenen Banknoten;
c. auf Franken lautende Sichtguthaben bei der Schweizerischen Nationalbank.»

Neben den Münzen und Banknoten in meiner Brieftasche möchte ich natürlich auch über unbares, gesetzliches Zahlungsmittel verfügen. Da dies nur bei der Nationalbank zu haben ist, rufe ich dort an und wünsche, ein Konto zu eröffnen. Das Begehren verwirrt die Telefonistin, die mich schnell weiterverbindet, worauf an dritter Stelle die Stimme eines netten Herrn erklingt, mit dem sich ein erstaunlich offenes Gespräch entwickelt. Er erklärt mir, dass nur Banken ein Konto bei der Nationalbank führen können (was ich wusste), bestätigt die unbare Geldschöpfung durch die privaten Banken und dass nur die Mindestreserve von 2,5 Prozent durch gesetzliches Zahlungsmittel gedeckt sei. Ob die restlichen 97,5 Prozent deswegen nicht gesetzliche Zahlungsmittel seien, das müsse ich mit der Rechtsabteilung klären. Weil er sich ungefragt anerbot, mir weitere Fragen zu beantworten, lasse ich seinen Namen ungenannt. Eine Quelle für alle Fälle verrät man nicht ohne Not.

Auch den Namen meines Gesprächspartners von der Rechtsabteilung der Nationalbank nenne ich nicht, und zwar auf seinen Wunsch. Das Thema ist offenbar wirklich heikel. Fakt ist: die restlichen 97,5 sind nicht gesetzliches Zahlungsmittel, können aber jederzeit in solches umgetauscht werden und würden deshalb aus Usanz allgemein akzeptiert. Sogar von Stellen, die ausschliesslich gesetzliches Zahlungsmittel annehmen dürfen, wie zum Beispiel den Steuerbehörden. Das alles steht nicht im Bundesgesetz über die Währung und die Zahlungsmittel, sondern in der bundesrätlichen Botschaft dazu aus dem Jahre 1999, und die beginnt ganz erfreulich:
«Die Zahlungsmitteleigenschaft der verschiedenen Formen staatlichen Geldes – Münzen, Banknoten, allenfalls auch des Zentralbank-Buchgeldes – sollte in einem die stoffliche Ausprägung übergreifenden Erlass, für jedermann leicht erkennbar, geregelt sein.» (S. 2763)

Da kann man nur zustimmen: eine für jedermann leicht erkennbare Regelung! Aber die Regelung ist nur vorübergehend leicht erkennbar. Nachdem noch einmal Münzen, Banknoten und Sichtguthaben bei der Nationalbank als einzige gesetzliche Zahlungsmittel bezeichnet werden, schreibt der Bundesrat von 1999:
«Guthaben bei einer Gross-, Kantonal- oder Regionalbank oder gar einer Kreditkartenorganisation sind etwas genuin anderes als Guthaben bei der SNB, die als einzige Institution im Lande – gestützt auf öffentlichrechtliche Normen – autonom Geld schöpfen kann.»
Das ist im Prinzip getreu der Verfassung: Nur das Geld, das die Nationalbank schöpft, ist echtes Geld, Guthaben bei Banken sind etwas grundlegend anderes. Aber was ist es denn? Das beantwortet der Bundesrat nicht, und das Parlament von damals wollte es auch nicht wissen und so wissen wir es bis heute nicht. Die Grundsubstanz unserer gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit schwimmt im Ungewissen.

Der Bundesrat erklärt bloss die Unterschiede zwischen Nationalbankgeld und Bankguthaben, aber nicht deren wahre Natur. Beim Nationalbankgeld geht der Inhaber nur ein makroökonomisches Risiko ein, z.B. durch Inflation, während der Besitzer von Banken-Buchgeld «zusätzlich das spezifische, mikroökonomische Kreditrisiko einer einzelnen Bank trägt».
Und weiter: «Solange nun der Staat kein generelles Sicherungssystem für sämtliche Bankguthaben errichtet (was einer marktwirtschaftlichen Sichtweise entspricht), darf er das Banken-Buchgeld auch nicht als vom Gläubiger einer Geldforderung zu akzeptierendes, gesetzliches Zahlungsmittel erklären.»
Auf deutsch: Giroguthaben bei einer Bank sind nicht wirklich Geld, mit dem man sich in jedem Fall von einer Schuld befreien kann.
Aber: «Dies hindert die Wirtschaftssubjekte nicht daran, vertraglich – ausdrücklich oder konkludent – zu vereinbaren, dass eine Geldschuld durch Gutschrift auf ein Konto des Gläubigers bei einer Geschäftsbank oder der Post getilgt werden darf.» (S. 7271/7272)
Private Wirtschaftssubjekte vereinbaren also, von privaten Banken aus dem Nichts und zu ihrem Nutzen geschöpftes «Geld» als gesetzliches Zahlungsmittel zu akzeptieren. Und weil sich offenbar auch der Bund und seine Organe zu diesen ‹privaten Wirtschaftssubjekten› zählen, mutiert dieses Privatgeld plötzlich zu dem öffentlichen Geld, dessen Schöpfung der Souverän in der Verfassung dem Bund vorbehalten hat. Damit verliert das Geld seine rechtliche Grundlage und mein Telefonat mit der Rechtsabteilung der Nationalbank ist abgeschlossen. Die Frage nach dem echten Geld wird wieder wirtschaftlich.

Ich weiss nicht, wie blind, belämmert oder gutgläubig man sein muss, um eine solche Ungeheurlichkeit durchzuwinken. Juristische Spitzfindigkeiten, werden manche denken: Geld ist Geld. Aber das stimmt nur, wenn die Wirtschaft wächst und die Bonität der Banken über jedem Zweifel steht. Sobald die Bonität der Banken schwankt, muss der Staat, d.h. das Kollektiv der Steuerzahler das Privat-Geld der Banken mit echtem Geld der Nationalbank unterfüttern. Wieviel das kostet, wissen wir seit der UBS-Krise. Aber die war in einer Zeit, als Krisen noch Dutzende von Milliarden kosteten. Jetzt sind es Hunderte.

Wie gut ist das «Geld» der Banken? Diese Frage stelle ich Hans Geiger, Bankenprofessor und als ehemaliger Direktor des Instituts für Banking und Finance der Universität Zürich immer noch ein gefragter Experte. Geiger bestätigt zunächst die Geldschöpfung durch die privaten Banken, die nur durch die Mindestreserve mit Nationalbankgeld unterlegt sei. Als gesetzliches Zahlungsmittel sei es geeignet, weil es jederzeit in gesetzliches Zahlungsmittel umgetauscht werden könne. Dieser Umtausch sei nur in Wachstumsphasen einigermassen sicher, gebe ich zu bedenken. Wenn die Banken infolge sinkender Wertpapierpreise in Bilanznöte kämen, könnten sie nicht mehr genügend Sichtguthaben auf ihrem Nationalbankkonto führen, um alle Ansprüche zu befriedigen. Geiger, der die Diskussion über die Rechtsnatur des Geldes für ein Thema von wachsender Bedeutung hält: «Irgendemal chlöpfts.»
Ich habe genug vernommen: Der Mann versteht, worum es geht. Und es wird nicht mehr lange dauern, dann wird er auf den Tisch klopfen. Als Rentner hat er ja keinen Job mehr zu verlieren. Und Wissen und Erfahrung hat er auch genug.

Warum ist die Rechtsnatur des Geldes so wichtig? Wir tragen alle unser sauer in der Realwirtschaft verdientes Geld auf die Bank, wo es als Grundlage für die privatisierte Geldvermehrung dient. Damit ist faktisch nicht mehr der Staat (vertreten durch die Nationalbank) verantwortlich für die Sicherheit und die Werthaltung des Geldes, sondern eine Aktiengesellschaft, die in erster Linie ihren Besitzern verpflichtet ist und nicht ihren Kunden. Ein gesetzliches Zahlungsmittel darf unter keinen Umständen von Wohl und Wehe einer privaten Institution abhängig sein, schon gar nicht von ihrem Wohlwollen. Welche Motivation im Bankmanagement regiert und welcher Grad an Verantwortung für das Gemeinwohl gelebt wird, hat die Abzocker-Diskussion gezeigt. Ohne klare Rechtsnormen, und die beginnen mit eindeutigen Begriffen, besteht die Gefahr, dass die Banken ihre Substanz aus den Bilanzen räumen, bevor die Ansprüche des Publikums gewürdigt werden.

Und warum wackelt die Bonität der Banken? Weil die Firmen hierzulande ihre Rechnungen nicht bezahlen, wie uns die Meldungen über die steigenden Konkurse glauben machen wollen? Mitnichten! Die Bonität der Banken ist vor allem durch die grossen Verluste im spekulativen Geschäft gefährdet. Dazu muss man wissen, dass der überwiegende Teil der Kredite nicht in die Realwirtschaft fliesst, sondern für den Kauf von Wertpapieren aller Art eingesetzt wird. Das von den Banken aus dem Nichts geschaffene «Geld» dient also nicht der Schöpfung von realen Werten, sondern der Wertsteigerung von Papieren, die sich in ihrer Substanz nicht ändern, sondern bloss in ihrer Wahrnehmung. Aus diesem Grund ist die Geldmenge gegenüber der Gütermenge um ein Mehrfaches gestiegen. Die Verteilkämpfe, die sich da am Horizont abzeichnen, brauchen klare Rechtsgrundlagen, sonst zeichnet sich ein Gemetzel ab, bei dem wir lieber dabei sein wollen.

Fazit, und das haben Sie ja schon aus dem Titel erfahren: Echtes Geld gibt es fast nicht, jedenfalls nicht bei den Banken. Der Gesetzgeber weiss es, die Regierung weiss es, die Wissenschaft, die Nationalbank – alle Verantwortlichen wissen es. Aber alle schliessen die Augen und niemand handelt.
Niemand? Nein, natürlich nicht. Wie das kleine Dorf im alten Gallien gibt es auch in der Schweiz eine kleine Gruppe von Unentwegten, die eine Rückführung der Geldschöpfung in die öffentliche Hand fordern. Und wie im gallischen Dorf hat es auch in dieser Gruppe einen Druiden, der die Magie des Geldes versteht. Mehr über das Rezept seines Zaubertranks in einem späteren Artikel.

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7 Antworten auf Echtes Geld gibt es fast nicht

  1. Hallo,

    Was es vor allem nicht gibt, sind echte Geldvermögen. Bis auf die monetisierten Goldbestände der Notenbanken gilt:

    Geld-Guthaben = Geld-Schulden

    Auch die Notenbankguthaben(Notenbankgeld) sind also genauso über Kreditqualität
    determiniert wie die Geschäftsbankenguthaben(Geschäftsbankengeld). Dass diese Kreditqualität auf keiner Ebene mehr passt – hat einen kollektiv verdrängten Grund:

    Die Nachfrage nach solchen Guthaben = die Nachfrage nach Verschuldung, ist höher als das Angebot an „guten Schuldnern.

    Über die „menschlichen“ Wahrnehmungsstörungen beim Geldthema auch der Ökonomen handelt dieser Beitrag:

    http://www.global-change-2009.com/blog/bildwechsel-global-change-im-okonomischen-denken-von-der-partialsatzokonomie-zur-globalsatzokonomie/2011/09/

    Mit freundlichen Grüßen, Jörg Buschbeck

  2. Günther Hoppenberger sagt:

    Ausgezeichnete Darstellung! Gratulation! Sie haben den eigentlichen Kern der so genannten Krise angesprochen: Es gibt durch die „Geldschöpfung“ der Banken weitaus mehr Forderungen auf Geld, als es überhaupt echtes Geld gibt.

  3. […] geschrieben (im Anschluss an diesen Text). Entweder er kennt die Geldschöpfung nicht (Mehr dazu: Echtes Geld gibt es fast nicht.) und das wäre tragisch für einen Politiker seines Formats. Oder er kennt sie und spielt ein […]

  4. Thommen, Peter sagt:

    Da können wir ja froh sein, dass die Postfinance keine Bank ist! 😉

    • Christoph Pfluger sagt:

      Ja sicher. Aber: die Postfinance funktioniert als einzige so, wie wir uns eine Bank vorstellen: durch Verleihen von Kundengeldern. D.h.: Die Post hält nicht alle Einlagen ständig liquid.
      C.P.

  5. […] direkt auf die Problematik der Bankengeldschöpfung, etwa wenn Pfluger darüber schreibt, dass es kaum echtes Geld bei den Banken […]

  6. gerd sagt:

    Aus welchem Grund sollten Institutionen, die Geld – die Energieform unseres Wirtschaftssystems – erzeugen, verteilen und verwalten, von deren Handeln unser aller Schicksal abhängig ist, in privater Hand sein? Banken haben eine volkswirtschftliche Aufgabe zu erfüllen, ihr einziges Ziel ist es jedoch, pivate Gewinne zu erwirtschaften. Das Motto der Banker ist doch: „Nimm, was du bekommen kannst, und hau ab damit. „Das Wohl der Gemeinschaft ist ihnen vollkommen gleichgültig, solange sie selbst ungeschoren davonkommen.

    Außerdem: Private Banken leihen sich bei der Zentralbank Geld zu 1% Zinsen. Der Staat leiht sich bei denselben Banken Geld zu 3% Zinsen. Die privaten Banken geben die Staatsanleihen bei der Zentralbank als Sicherheiten ab. Warum leiht sich der Staat das Geld nicht gleich bei der Zentralbank? Weil die Finanzelite die Welt regiert und wir alle dafür zahlen.

    Alle Banken müssen verstaatlicht werden. Private Banken sind grober Unfug.

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