Wie man gute Hausärzte aus dem Verkehr zieht

Wer Verantwortung trägt, wird bestraft

Vor kurzem erhielt ich den nachstehenden erschütternden Brief meines Hausarztes. Er ist corona-kritisch, führt eine ältere, gemütliche Praxis ohne unnötigen technischen Schnickschnack und nimmt sich Zeit – das ist zumindest meine persönliche Erfahrung.

Das letzte Mal war ich für den jährlichen Check-up eine Stunde bei ihm. Er verschrieb mir drei Phytotherapeutika, die erstaunlicherweise rezeptpflichtig waren und die ich selber bezahlte. Für die Konsultation bezahlte ich, wenn ich mich recht erinnere, um die hundert Franken.

So viel zu meinen persönlichen Erfahrungen. Ein ausgezeichneter Allgemeinpraktiker, der sich Zeit nimmt und keine unnötigen und übertriebenen Therapien veranlasst, ein Arzt, wie man ihn sich wünscht, an der Grenze zur Pensionierung und der jetzt vorzeitig aus dem Verkehr gezwungen wird.

So geht man mit den Arbeitspferden des Gesundheitswesens um. Dazu muss man wissen, dass die Jahrgänge von 1950 bis ca. 1965 das Gros der selbständigen Hausärzte stellen. Sie studierten in den 1970er Jahren, füllten die Hörsäle und eröffneten später als Selbständige ihre Praxen.

Mit dem numerus clausus, der dann eingeführt wurde, reduzierte sich die Zahl der nachrückenden Ärzte. Die Hoffnung, die sich jedoch nicht erfüllte, war eine Reduktion der Kosten.

Mehrere Illusionen lagen hinter dieser Politik, namentlich die Überzeugung, dass die Hausärzte die wesentlichen Kostentreiber im Gesundheitswesen seien. Eine verhängnisvolle Fehleinschätzung war auch die Erwartung, dass sich die Leistungen der Ärzte über deren Zahl steuern liess.

Die fortgesetzte Durchsetzung des numerus clausus hatte nämlich einen beonderen Effekt. Weil der Anteil der Frauen – mit geringerer Lebensarbeitszeit – stieg, fehlten Ärzte, die aus anderen Ländern importiert werden mussten, wo sie zu einem brain drain führten. Hier arbeiteten sie vor allem in Spitälern.

Der Mangel an echten Hausarztpraxen hatte zur Folge, dass viele Patienten, vor allem solche mit Migrationshintergrund mit Bagatellen die Notaufnahme der Spitäler besuchten anstatt eine Hausarztpraxis, wo man sie unkompliziert und ohne übertriebenen Aufwand versorgt hätte.

Was die Verdrängung der Hausarztpraxen bedeutet, erklärte mir kürzlich ein anderer befreundeter Arzt anhand eines konkreten Beispiels. Während seiner Ferien ging eine Patientin von ihm mit Bauchschmerzen ins Spital, wo ein junger, unerfahrener Assistenzarzt Laboruntersuchungen für mehr als 1100 Franken verursachte, ohne jeglichen therapeutischen Nutzen. Er wollte mangels Erfahrung einfach sicher sein, nichts übersehen zu haben.

Er dagegen hätte die Patientin angehört, beruhigt, vielleicht mit einem Placebo nach Hause geschickt und angewiesen, bei anhaltenden Schmerzen in ein paar Tagen wieder zu kommen, sagte mein ärztlicher Freund. In den allermeisten Fällen hätte sich die Sache zu minimalen Kosten erledigt.

Das Gesundheitswesen war eines meiner Spezialgebiete während meiner Tätigkeit als freier Journalist in den 1980er Jahren. «Organisierte Verantwortungslosigkeit» war damals mein Urteil über die Branche. Patienten, Ärzte, Spitäler, Pharmaindustrie und Krankenkassen – sie alle haben nur Vorteile, wenn sie den eigenen Nutzen zulasten des Ganzen optimieren.

Die Lasten trägt die Minderheit, die sich durch die ökonomischen Anreize nicht zu unethischem Verhalten verleiten lässt. An meinem Urteil hat sich nichts geändert. Im Gegenteil: Die Verantwortungslosigkeit ist gestiegen und wird durch die Illusion der Kontrolle ersetzt, mit denen man dann Menschen, wie meinem Hausarzt die letzte Freude an der Arbeit nimmt.

Ich habe letzthin mit einem Gesundheitsökonomen über die individuelle Versicherungsstrategie gesprochen, die man in einem derart perversen Umfeld verfolgen kann. Hintergrund war der Umstand, dass meine Krankenkasse, die sich als Gesundheitskasse positionierte, die Alternativmedizin förderte und günstige Tarife hatte, heute eine der teuersten am Markt ist.

Er sagte mir, er hätte seine ethischen Prinzipien längst über Bord geworfen. Da er ohnehin Selbstzahler sei, wähle er die jeweils günstigste Kasse und lasse das korrumpierte System vor sich hin fuhrwerken und faulen. Ich bin nicht mehr weit davon entfernt, es ihm gleich zu tun.

Und hier nun der Brief meines Hausarztes:

Liebe Patientinnen und Patienten,

Gerne möchte ich zurückschauen auf das Jahr 2021, aber auch vorwärts auf die kommenden Jahre.

Das erste Mal in meinen 30 Praxisjahren haben die Krankenkassen meine Art der Arbeit als «unwirtschaftlich» taxiert und mir eine juristische Auseinandersetztung eingebracht. Sie klagten mich an, zu viel Zeit in den Konsultationen mit Ihnen zu verbringen, zuviele Medikamente zu verschreiben und zuviel Physiotherapie. ich wurde nach harten Verhandlungen gezwungen, 30’000.- zurückzubezahlen.

In Anbetracht der komplexen Krankheitsverläufe mehrerer meiner Patienten und meines entsprechenden Engagements sind diese Vorwürfe unverständlich und inakzeptabel. Aber hätte ich das Verfahren hingezogen, so wäre die Aussicht gewesen, während zehn Jahren in Gerichtsprozesse zu investieren, was gegenwärtig einer meiner Kollegen erlebt.

Ich habe mehrere schlaflose Nächte verbracht. Ich musste finanziell Altersreserven (3. Säule) auflösen. Ich zog folgendes Fazit aus dieser Situation:

Ich plane, die Zusammenarbeit mit den Krankenversicherern («Santesuisse») zu beenden und zwar auf den 1. Januar 2023, weil es mir immer unerträglicher wird, mit den Auflagen und Konsequenzen zu praktizieren und die finanziellen Vorteile zweifelhaft werden.

Ich bedaure die Konsequenzen, die das für Sie haben wird, denn ab Januar 2023 werden meine Leistungen von den Krankenversicherungen nicht mehr vergütet. Ich werde einen Privattarif verrechnen. Die Kosten für die Konsultationen werden zu Ihren Lasten sein und für sämtliche meiner Verschreibungen werden Sie wahrscheinlich keine Rückvergütung mehr erhalten.

Der Blick in die Zukunft weist aber auch auf meine Pensionierung hin. Ich bin aktiv am Suchen einer Nachfolgerin/ eines Nachfolgers, welche die Praxis weiterführen könnten. Ab Mai 2023 werde ich meine Tätigkeit stark reduzieren und werde nur noch für ein kleines Teilpensum verfügbar sein.

Es ist mir bewusst, dass diese Veränderungen Sie in grossem Ausmass betreffen. Im Falle eines Nachfolgers werde ich Sie so bald als möglich informieren. Vielleicht werden Sie einen neuen, jüngeren Hausarzt suchen wollen und ab 2023 eine Lösung, um weiterhin vom KVG die Rückerstattungen zu erhalten. In diesem Fall werde ich Ihnen Ihre Krankengeschichte überlassen. Im ändern Fall würde es möglich sein, mit Kollegen zusammenzuarbeiten in der Art und Weise, wie ich das durch alle Jahre schon praktiziert habe.

Ich danke Ihnen für Ihr Verständnis, noch mehr aber für das Vertrauen, das Sie mir durch all die vielen Jahre entgegenbrachten. Mit ganz herzlichen Grüssen,

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