Das nächste Gesicht an der Spitze der Nato ist vermutlich weiblich, hat ukrainische Züge und stammt aus der Schule von Klaus Schwab

Chrystia Freeland, Kanadas Vizepremierministerin ist Favoritin um die Nachfolge Stoltenbergs als Nato-Generalsekretär.

Jens Stoltenbergs Mandat als Generalsekretär der Nato läuft im Herbst 2023 aus. Anfangs Oktober wurde die Kandidatur von Chrystia Freeland lanciert. Das Rennen um die Nachfolge ist nun durch die noch inoffizielle Unterstützung von Freeland durch die USA in eine nächste Phase getreten.

Traditionell wird die Nato von zwei Spitzen geführt. Das wichtigere militärische Kommando besetzen US-Militärs, der Posten des weniger relevanten Generalsekretärs fiel bis jetzt immer einem Europäer zu.

Chrystia Freeland wäre die erste Frau und die erste Person aus Nordamerika an der Spitze der Nato-Administration. Die EU mit den meisten Nato-Mitgliedern hat sich noch nicht auf eine Kandidatur geeinigt.

Im Gespräch sind ferner die estnische Premierministerin Kaja Kallas, «die Frau, die Putin die Stirn bietet», die slowakische Präsidentin Zuzana Caputova, «treue Freundin des Westens in Osteuropa» und die ehemalige kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic, die auch kroatische Botschafterin in den USA und stellvertretende Generalsekretärin für öffentliche Diplomatie bei der NATO war. Sie sagte kürzlich an einem Symposium in St. Gallen: «Die Nato ist nicht im Krieg mit Russland und tut alles, um zu deeskalieren.» Offenbar wird auch der britische Verteidigungsminister Ben Wallace als Kandidat gehandelt.

Doppelfunktionärin: Chrystia Freeland ist nicht nur Vizepremierministerin Kanadas, sondern bestimmt als Stiftungsrätin des WEF auch dessen Strategie mit. (Bild: Flickr)

Chrystia Freeland (*1968) ist eine bestens vernetzte Repräsentantin der globalen Teppichetage. Sie ist «young global leader» des World Economic Forum und Mitglied dessen Stiftungsrates. Sie begann ihre journalistische Karriere als Ukraine-Korrespondentin für die Financial Times, die Washington Post und den Economist. 2010 wurde sie Managing Director der internationalen Nachrichtenagentur Thomson-Reuters.

2013 wurde sie für die Liberale Partei ins kanadische Unterhaus gewählt, 2019 stellvertretende Premierministerin und 202 zusätzlich Finanzministerin. In der kanadischen Politik spielt sie neben dem angeschlagenen Justin Trudeau als «minister for everything» eine entscheidende Rolle.

Eine markanter dunkler Flecken in Chrystia Freelands Biographie ist ihr Grossvater mütterlicherseits, Michael Chomiak. Er flüchtete 1939 vor den Sowjets aus der Westukraine in das von den Nazis besetzte polnische Krakau, wo er die Nazi-freundliche Zeitung «Krakivski Visti». In dieser Funktion war er so etwas wie der Chef-Propagandist der Nazis für die ukrainische Diaspora. Die Redaktion wurde 1944 aufgrund des sowjetischen Vormarschs nach Wien verlegt.

(Mehr dazu: Progress Report: Blank spot: Why Chrystia Freeland’s refusal to acknowledge her grandfather’s Nazi collaborator past matters. 31.8.2020)

Die Zeitung verherrlichte u.a. die 14. Waffen-SS-Division, ein Nazi-Bataillon aus ukrainischen Freiwilligen, von denen 1200 bis 2000 nach dem Krieg nach Kanada auswanderten, wie Anders Per Rudling, Professor für osteuropäische Geschichte an der Universität Lund in Schweden in einem Paper schreibt. Michael Chomiak selber emigrierte 1948 nach Kanada. Nationalistische Ukrainer sind in Kanada recht präsent. In Oakville steht sogar ein Denkmal zu Ehren der 14. Waffen-SS-Division. Mit 1,25 Millionen stellt die ukrainische Diaspora in Kanada eine substanzielle politische Kraft dar.

Ukrainische Nationalisten sind präsent: Denkmal für die 14. Waffen-SS-Division in Oakville/Kanada (Bild: Ruptly)

Michael Chomiak war ein waschechter Nazi. Die Nazi-Verbindungen des ukrainischen Nationalismus und der Regierungen seit dem Euro-Maidan 2014 werden von den westlichen Medien seit dem russischen Einmarsch heruntergespielt. Das ist bei Chomiak nicht möglich. Er wurde von den Nazis bezahlt, er machte ihre Arbeit und er nahm an den Parties der Nazi-Führung in Polen teil.

Ganz anders sieht Chrystia Freelands familiäre Geschichte in ihren eigenen Worten aus, die sie sie in einem Essay für die Brookings-Institution beschrieb.

«Meine Grosseltern mütterlicherseits flohen aus der Westukraine, nachdem Hitler und Stalin 1939 ihren Nichtangriffspakt unterzeichnet hatten. Sie wagten es nicht, zurückzukehren, aber sie hielten engen Kontakt zu ihren Geschwistern und deren Familien, die zurückblieben. Für den Rest ihres Lebens sahen sich meine Grosseltern als politische Exilanten in der Verantwortung, die Idee einer unabhängigen Ukraine am Leben zu erhalten, die zuletzt während und nach den Wirren der Russischen Revolution von 1917 kurzzeitig existiert hatte. Dieser Traum hielt sich bis in die nächste Generation und in einigen Fällen bis in die übernächste Generation.»

Aufschlussreich und unkritisch: Policy Magazine: «The Many Stages of Chrystia Freeland» (undatiert)
Sehr kritisch und detailreich, mehrere Artikel des in Moskau lebenden australischen Journalisten John Helmer.

Was bedeutet Chrystia Freelands Kandidatur für die Nato?

  • Falls sie ernannt wird, dürfte sich die Nato weiter von einem Verteidigungsbündnis zu einer antirussischen Kriegsorganisation entwickeln, in der weniger die Interessen der Mitgliedstaaten vertreten werden, sondern die Interessen des global vernetzten militärisch-industriellen-medialen Komplexes.
  • Falls sie nicht ernannt wird, dürfte allein ihre Kandidatur dafür sorgen, dass Hardliner im Feld der Mitbewerber bessere Karten haben.

Auffallend ist das markante Übergewicht weiblicher Kandidaturen. Das mag Zufall sein, könnte aber auch der Absicht entspringen, der Nato in diesem Krieg ein weibliches Gesicht zu geben. Nach Darstellung des Westens stehen sich in diesem Krieg ein brutaler Aggressor, der die Ukraine «unprovoziert» überfallen hat und eine Koalition gegenüber, die sich für Demokratie, Freiheit und Menschlichkeit einsetzt. Der Glaubhaftigkeit eines solchen Bildes ist ein weibliches Gesicht durchaus dienlich, egal, was für Kräfte die Entscheidungen fällen. Weibliche Kriege sind von vornherein gerechte Kriege.


Zur Erleichterung der Meinungsbildung zur sich ausbreitenden Multikrise publiziert der Zeitpunkt einen täglichen Digest mit ± einem Dutzend Nachrichten, Zusammenfassungen interessanter Artikel und Analysen – mehrheitlich, aber nicht nur, Nato-kritisch.

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2 Antworten auf Das nächste Gesicht an der Spitze der Nato ist vermutlich weiblich, hat ukrainische Züge und stammt aus der Schule von Klaus Schwab

  1. Haenger sagt:

    Danke dafür! Lesenswert, weil auch… Chrystia Freeland ist nicht nur Vizepremierministerin Kanadas, sondern bestimmt als Stiftungsrätin des WEF auch dessen Strategie mit… und die 2 anderen Kandidatinnen: Kaja Kallas: https://www.wef.org.in/kaja-kallas/ und ihr Vater Siim Kallas: https://www.weforum.org/people/siim-kallas und Kolinda Grabar-Kitarovic https://www.weforum.org/agenda/2018/07/croatia-s-president-taught-a-lesson-in-leadership-at-the-world-cup

  2. Maksimowitsch sagt:

    Meines Wissens steht Generalsekretär allerdings nicht an der „Spitze der NATO“, sondern ist nur deren Gesicht an der PR-Front. Die relevanten Entscheidungen werden in Washington getroffen, ohne den Generalsekretär.

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