Die US-Strategie wird von jungen, unerfahrenen Leuten entwickelt

Der russisch-amerikanische Militärpublizist Andrei Martyanov erklärt, was für Leute die US-ThinkTanks bevölkern

Es ist Zeit, Andrei Martyanov vorzustellen. Er wurde in der UdSSR zum Ingenieur ausgebildet und war dann Offizier in der sowjetischen Marine, bevor er anfangs der 1990er in die USA emigrierte und als Autor militärischer Bücher einige Bekanntheit und sogar eine gewisse Gefolgschaft erreichte.

Martyanov zeichnet sich in seinen Blogbeiträgen und Videos durch eine relativ direkte Sprache aus. In seinen Büchern ist er sehr differenziert. Da zeigt sich seine breite Bildung, ohne die militärische und strategische Verhältnisse nicht zu verstehen sind.

In seinem neusten Video geht Martyanov zuerst kurz auf die Ängste vor einer bevorstehenden nuklearen Eskalation ein, die nicht zuletzt in alternativen Medien aufgebauscht wurde.

Martyanov hält die Ängste für absolut unbegründet. Um mit alarmierenden Inhalten Klicks und Zugriffe zu steigern, seien die Atomkriegsübungen der Nato, die kürzlich begannen, zu einer Vorstufe des Ernstfalls hochstilisiert worden. Dabei fänden sie jedes Jahr statt und seien lange vorher angekündigt worden.

Die zweite Hälfte des 30-minütigen Videos widmet er dem Umstand, dass die US-Strategie in der Aussen- und Militärpolitik und gegenüber Russland von «26-Jährigen» entwickelt und geprägt würde. Sie hätten typischerweise Abschlüsse in den von Martynaov verabscheuten Sparten «Political Sciences» oder «International Relations» und unterm Strich weder Ahnung noch Erfahrung. Ihre ganze Leistung würde daraus bestehen, Artikel für anerkannte Zeitschriften verfasst zu haben.

Wenn man sich die Bilder von Mason Clark, «Senior Analyst and Russia Team Lead» beim renommierten Thinktank «Institute for the Stdy of War» ISW und von Natalya Bugayova, Leiter «Russia and Ukraine research» beim ISW ansieht, entstehen tatsächlich gewisse Fragen.

https://www.understandingwar.org/press-media/staff-bios/nataliya-bugayova

Die US-Thinktanks tragen Entscheidendes zur Meinungsbildung in den Ministerien und unter den Parlamentariern bei. Da werden die Grundlagen des Narrativs entwickelt, nach denen die US-Politik geführt wird.

Wir wollen hier nicht Stellung dazu nehmen, wie weit Martyanov mit seiner Geschichte der 26-Jährigen recht hat, sondern zu Überlegungen anregen, wo und von wem die Politik entwickelt wird.

Martyanov ist überzeugt, dass den USA die Erfahrung eines Landkrieges auf eigenem Boden fehlt und sie deshalb die Härten eines Krieges unterschätzen und ihre eigenen Möglichkeiten überschätzen. Das Problem, schreibt Martyanov an anderer Stelle besteht nicht bloss darin, dass die Amerikaner ein falsches Narrativ in die Welt hinaustragen, sondern selbst daran glauben. Sie manipulierten sich dadurch selber.


Andrei Martyanovs Blog: https://smoothiex12.blogspot.com

In seinem Buch «The (Real) Revolution in Military Affairs» beschreibt Martyanov den fundamentalen geopolitischen Einfluss der Tatsache, dass Russland mit seinen nicht abschiessbaren Hyperschallraketen Waffen entwickelt hat, welche die Machtverhältnisse auf der Erde grundlegend verändern. «Das wichtigste Buch des Jahres 2019», schreibt der Journalist Pepe Escobar.

Jungtürken erklären die Welt auch in den Medien

Eine vergleichbare Erfahrung wie Martyanov macht auch Kurt Zimmermann, altgedienter Journalist in vielen Positionen und Medienkolumnist der Weltwoche. In der Ausgabe 43/22 nimmt er sich den Begriff «einordnen» vor, der in den Medien inflationär verwendet wird, um die eigene Arbeit darzustellen. «In Ordnungswut auf der Redaktion» schreibt er u.a.:

«Wer ‹einordnen› will, der sollte etwas von der Sache verstehen. Zur Einordnung braucht es Kompetenz, Fachkenntnis und Erfahrung. Doch daran fehlt es häufig auf den Redaktionen.
Machen wir mit einem neusten Beispiel die Probe aufs Exempel. Wir nehmen dazu den Ukraine-Krieg. ‹Droht Cherson eine Staudamm-Katastrophe?›, fragte soeben der Tages-Anzeiger seine Leser und meldete zum Thema natürlich sofort an: ‹Wir leuchten aus, erklären und ordnen ein.›
Ich habe beim Artikel nachgeschaut, welcher Journalist mir zu Cherson und Ukraine die Ausleuchtung, Erklärung und Einordnung lieferte. Es handelte sich um eine junge Urbanistik-Studentin. Sie hilft auf dem Tages-Anzeiger gelegentlich aus, um ihr Taschengeld aufzubessern. In ihrem kurzen Leben hat sie insgesamt drei Artikel für den Tages-Anzeiger geschrieben. Und das ist nun die hochqualifizierte Fachkraft, die mir ‹einordnet›, wie es um die komplexe Kriegslage in der Ukraine bestellt ist.
Das hat mich misstrauisch gemacht, und ich habe dann auch in anderen Medien überprüft, wer jeweils hinter diesen ‹Einordnungen› steckt. Zu meiner Überraschung wiederholte sich dasselbe Szenario erstaunlich häufig. ‹Eingeordnet› wurde oft nicht von den bewährten Koryphäen der Redaktion, sondern von Jungjournalisten ohne Berufs- und Lebenserfahrung, manche erst vor kurzem von der Universität abgegangen. Die Jungtürken belehrten mich bestandenen Leser dann jeweils, wie ich die amerikanische Aussenpolitik und die deutsche Energiepolitik gefälligst zu verstehen hätte.»

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